Lenkerinnen und Lenker aus der Schweiz, die sich gewöhnlich an die Tempolimite von 120km/h halten müssen, können hingegen nur erahnen, worum es geht: Mit 160 auf der Überholspur rettet man sich im Zweifelsfall rasch wieder auf die rechte Fahrbahn, wenn sich ein PS-starkes Technologie-Wunder nähert.
Nimmt sich, wer mit über 200km/h über die Autobahn brettert, nicht mehr Freiheit als er dem anderen zugesteht? Soll es jedem und jeder überlassen sein, die Folgen seiner Tempoexzesse zu tragen? Kein Wunder, streiten sich unsere deutschen Nachbarn seit Jahrzehnten über eben diese Fragen und diskutieren, ob doch eine generelle Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen eingeführt werden soll. Die Schweiz hat schon 1959 Tempolimiten eingeführt, 130 Stundenkilometer konnte man auf den helvetischen Autobahnen nur zwischen 1973 und 1984 fahren, seither gilt 120.
Die Debatte um die Freiheit beim Autofahren wurde hierzulande bei der Einführung der Gurtentragpflicht dafür umso heftiger geführt. Zur Erinnerung: Die Gurtentragpflicht wurde zuerst per Verordnung eingeführt. Ein Walliser, der mit 20 Franken wegen Nichttragens gebüsst wurde, ging bis vor Bundesgericht. Und erhielt Recht: Eine solche Vorschrift brauche ein Gesetz, pfiffen die Richter den Bundesrat zurück.
Als die Vorlage 1979 im Parlament diskutiert wurde, war rasch klar, dass der Abstimmungskampf mit harten Bandagen geführt würde. Bundesrat Kurt Furgler appellierte im Nationalratssaal: «Der Bundesrat will keine Demarche gegen die Freiheit im Staat, er will weniger Tote.»
Eine solche Verordnung bedeute einen Eingriff in die Privatsphäre des Bürgers, wurde ihm entgegnet. Denn anders als bei der Geschwindigkeitsbeschränkung diene sie nicht dem Schutz des Nächsten. «Zwang aus Bern», sei die Anschnallpflicht. Um die Freiheit des einzelnen zu schützen und vor dem Gurt zu bewahren, hätten manche sogar auf Geschwindigkeit verzichtet und eine Senkung der Tempolimiten hingenommen.
Zahlen der Beratungsstelle für Unfallverhütung aus dem Frühjahr 1980 zeigen, wie es um die Anschnalldisziplin stand: Auf der Autobahn waren 52% der Autofahrer angeschnallt , ausserorts 35% und innerorts 23%. Bei einer Stichprobe in Sitten waren es gar nur 3 Prozent.
Auch auf der wissenschaftlich-physikalischen Ebene war man sich uneinig. Ein gewisser Meinrad Tomaschett (mit seinem Ford verunfallt) sagte in der «Schweizer Illustrierten»: «Der Beifahrer sollte vermutlich Gurten tragen. Der Fahrer jedoch nicht, weil er sich am Lenkrad abstützen kann.» Der Mediziner und «Gurtenfreund» Dr. Felix Walz hingegen träumte von «Gurten, die sich dem Fahrer automatisch umlegen» oder einem «Luftkissen (…), das sich bei einem Unfall blitzschnell aufbläst».
Mit einer hauchdünnen Mehrheit von 50,5 Prozent gewannen schliesslich die Befürworter. «Das Gurtenobligatorium gehört zu jenen unbequemen, aber doch wohl unerlässlichen Massnahmen, welche wir zu treffen haben, um uns vor allzu negativen Folgen unseres technischen Zeitalters zu schützen», schrieb die NZZ nach dem Abstimmungssonntag im Dezember 1980.
Bald darauf hatte sich die Quote der angeschnallten Autofahrer verdoppelt. Heute kommt niemand mehr auf die Idee, die Gurte als Einschränkung der persönlichen Freiheit zu betrachten.