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Mehr als einfach süss

Mehr als einfach süss

Aus je einer Schicht Baumnuss-Crumble, Cheesecake-Mousse und gefrorenem Sanddorn-Saft baut Sebastian Rösch behutsam ein Türmchen. Dann verziert er das kleine Kunstwerk mit ein paar Tupfern Sanddorn-Creme, gezupften Ringelblumenblüten und Physalis-Scheiben, ehe er noch ein wenig pulverisierte Kaffeemeringue an den Tellerrand streut. Die alte Plattitüde vom Auge, das mitisst, lässt sich gerade bei Desserts nicht von der Hand weisen.

Der Meister in Aktion

Alleine schon das leuchtende Orange des Sanddorns macht Appetit. Und dann erst der Geschmack! Die cremig-buttrige und mit Bedacht nur dezent gesüsste Mousse passt wunderbar zum markanten, fruchtig-säuerlichen Aroma der Sanddornbeeren, die der Mesa-Küchenchef bei Adolf und Margrit Hartmann aus Trans im Domleschg bezieht. Der knusprige Crumble schliesslich steuert einen nussigen Geschmacksakzent bei und bereichert das Spiel der Texturen.

Präzision ist gefragt

Präzision ist gefragt

«Salz hebt den Geschmack von Süssem hervor, das ist ein ganz einfaches Prinzip. Genauso wie eine Prise Zucker ein herzhaftes Gericht noch besser machen kann»

Sebastian Rösch

Zaubermittel Sanddorn

“Salz hebt den Geschmack von Süssem hervor, das ist ein ganz einfaches Prinzip. Genauso wie eine Prise Zucker ein herzhaftes Gericht noch besser machen kann”, erklärt Sebastian Rösch. Dominant süsse Komponenten seien dagegen auch bei einem Dessert unglücklich. “Wenn man vor dem Dessert eine Cola trinkt, sind die Geschmacksnerven ja auch nicht mehr in der Lage, die feinen Nuancen zu unterscheiden.“ Der Grad der Süsse ist überhaupt ein grosses Thema. “Besonders in längeren Menüfolgen lege ich grossen Wert darauf, dass das Dessert die Gäste nicht erschlägt, sondern auch erfrischt. Der Sanddorn, dessen Säure prägnanter ist als die der meisten Zitrusfrüchte, drängt sich da natürlich auf – zumal ich so auch einen regionalen Baustein in das Gericht einfliessen lassen kann”, führt Rösch aus.

«Oops! I dropped the lemon tarte»

Richtig gute Küche, ob süss oder salzig, ist nie uniform. Stets gleicht der Teller einer Entdeckungsreise für die Sinne, bei der selbstverständlich auch die verschiedenen Temperaturen eine Rolle spielen. Die geeiste Scheibe ist genau so dick, dass sie noch in festem Zustand zum Gast kommt, dort aber sehr bald geschmeidiger wird und langsam über die Mousse fliesst. “Wir hatten schon im letzten Jahr ein Cheesecake-Sanddorn-Dessert, allerdings servierten wir den Cheesecake damals als gespritzte Creme, den Sanddorn als Glacenocke und die Baumnüsse als Biscuit”, erklärt Sebastian Rösch. “Mein Sous-chef Luca Aufdenblatten und ich haben dann schrittweise Verbesserungen vorgenommen – und das ist nun das Resultat, mit dem wir sehr zufrieden sind.”

Mehr noch als die herzhafte Küche erfordert die Patisserie enorme Präzision. Das wohl berühmteste Dessert der Welt – Oops! I dropped the lemon tarte – ist ironischerweise gleichwohl das Produkt eines Zufalls. Massimo Botturas ehemaliger Sous-chef, der Japaner Taka Kondo, liess eine Tarte mit Zitrone, Bergamotte, Mandeln und Kapern versehentlich fallen und war danach untröstlich. Der Chef der Osteria Francescana in Modena aber sagte ihm: “Erst so ist dieses Dessert perfekt, nun ist es eine Metapher für Süditalien!” Der unerhörte Erfolg der Kreation war für viele Patissiers und Köche ein Signal, nicht mehr nur geschmackliche und optische Harmonie anzustreben, sondern mit ihren Kreationen auch eine Geschichte zu erzählen. Zudem brach die Tarte endgültig die Grenzen zwischen süss und salzig auf, bewies dass Salz und Karamell längst nicht die einzigen geschmacklichen Antagonisten sind, die zusammen ein schmackhaftes Ganzes ergeben.

Sebastian Rösch und sein Sous-chef Luca Aufdenblatten.

Zwei mit dem Gespür für das Besondere: Sebastian Rösch und sein Sous-chef Luca Aufdenblatten.

«Ich kann das jedem Koch nur empfehlen»

Dass sich der 30-Jährige – anders als die meisten Küchenchefs – sehr gerne mit Süssem auseinandersetzt, liegt auch an seinem Werdegang. “Ich habe schon im ersten Jahr meiner Lehre viel Zeit auf dem Patisserieposten verbracht und so Gefallen an den klassischen Desserts gefunden”, erklärt er. “Während meines Engagements als Sous-chef von Dennis Puchert im Spice im Hotel Rigiblick musste ich dann öfter als Patissier einspringen. Dabei erkannte ich, welche enormen Möglichkeiten die süsse Küche bietet und entwickelte die Fähigkeit, die Stilistik der herzhaften Gänge auch auf die Desserts anzuwenden. So erschien dann alles wie aus einem Guss.” Um ähnliche Erfahrungen wie einst sein Chef zu sammeln, arbeitet Mesa-Sous-chef Luca Aufdenblatten nun auch auf dem Patisserieposten. “Ich kann das jedem Koch nur empfehlen”, sagt Rösch.

Weisse Schokolade passt auch zu Curry

Eine Folge der fliessenden Übergänge zwischen salziger und süsser Küche ist im Mesa die Integration von Lorbeer in ein Dessert mit weissem Schokoladeneis, Birne und Mandeln. Der Lorbeer aromatisiert die Milch, die nachher zur Glace weiterverarbeitet wird, und taucht noch einmal als Pulver auf. “So setzt er einen spannenden Akzent. Man muss bei solchen Zutaten aber natürlich aufpassen, dass man es nicht übertreibt, sonst gerät das Gericht sehr schnell aus dem Gleichgewicht”, erläutert Sebastian Rösch. “Bis wir mit dem Ergebnis happy waren, hat es lange gedauert. Zwischenzeitlich wollte ich den Versuch schon abbrechen.” Während der mit 16 “Gault Millau”-Punkten und einem “Michelin”-Stern ausgezeichnete Meisterkoch dunklere Schokolade vor allem mit Früchten kombiniert, um sie weniger mächtig erscheinen zu lassen, setzt er bei weisser Schokolade generell auf ungewöhnlichere Kombinationen: Sie vertrage sich nicht nur mit Lorbeer sehr gut, sondern auch mit Curry oder Gurke.