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Vom Gourmetkoch zum Retter der Bio-Lebensmittel

Mirko Buri kämpft in Köniz mit einem innovativen Konzept erfolgreich gegen Food Waste – und erklärt, was wir gegen die Verschwendung tun können.

«Die hier wären alle in der Biogas-Anlage gelandet, wenn wir sie nicht gekauft hätten», sagt Mirko Buri und stellt eine Kiste mit Tomaten auf den Tisch. Die Tomaten stammen von einem Bio-Hof in der Region, sind leuchtend rot und besitzen eine makellos glatte Haut. Auf den ersten Blick ist an ihnen nichts auszusetzen.

Warum also hätten sie als Food Waste enden sollen? «Einige davon sind schlicht und einfach zu gross», erklärt Buri. «Bei anderen hat sich unten eine winzig kleine zweite Tomate gebildet. Das reicht schon, um sie für den Handel unattraktiv zu machen.» In der zweiten Kiste, die er an den Tisch bringt, stapeln sich appetitlich aussehende Karotten. Ein paar davon weisen winzige Risse auf, die meisten fielen aber nur deshalb durch die Qualitätskontrolle, weil sie geringfügig zu dünn oder zu kurz geraten sind. 

Dass es sich bei Food Waste in den allermeisten Fällen mitnichten um minderwertige Ware handelt, sondern um Produkte, die lediglich ein wenig von der Norm abweichen, ist vielen Konsumenten in der Schweiz gar nicht bewusst. Umso mehr liegt Buri daran, in seinem Restaurant «Mein Küchenchef» in Köniz, bei Caterings und Events und im Rahmen von Kursen Aufklärungsarbeit zu leisten. «Anfangs hatten die Leute ein völlig falsches Bild von unserem Konzept», erklärt er. «Sie dachten, wir würden abends halb vergammelte Ware aus den Containern hinter den Supermärkten stibitzen und daraus dann unsere Gerichte zubereiten. Dabei arbeite wir nur mit besten Bio-Produkten, die einfach aus diversen Gründen für den Handel nicht attraktiv sind.» Inzwischen retten Buri und seine Mitstreiter pro Jahr 28 Tonnen biologisch produzierte Lebensmittel aus der Region vor der Mülltonne.

Wer bei Buri einkehrt, hat die Wahl zwischen einem täglich frisch zubereiteten Menü und einer Reihe von A-la-Carte-Gerichten, die das «Mein Küchenchef»-Team mit der Sous-vide-Technik haltbar gemacht hat. «Dank diesem Kniff sind wir in der Lage, den Bauern überschüssige Ware auch dann abzukaufen, wenn wir sie nicht unmittelbar verwenden können», erklärt der Chef. «Die Qualität der Gerichte ist dank der schonenden Konservierungsart ausgezeichnet. Dass wir sie im Plastikbeutel aufwärmen, verstecken wir nicht vor den Kunden, sondern erklären ihnen, warum wir das tun.»

Doch wie wurde aus dem Gourmetkoch Mirko Buri, der unter anderem im Gstaader Luxushotel «Palace» arbeitete, der Anti-Food-Waste-Aktivist von heute? «Durch den Film ‹Taste the Waste›», antwortet er. «Nachdem ich ihn kurz vor meinem 30. Geburtstag gesehen hatte, spürte ich eine grosse Leere in mir, ein wirklich schlimmes Gefühl. Ich fragte mich: Warum macht niemand etwas dagegen?» Richtig geschockt war Buri dann, als er wenig später feststellen musste, dass die Zustände in der Schweiz auch nicht anders waren, als die, die er im Film gesehen hatte. «Das war das Signal für mich, mein Berufsleben umzukrempeln.»

Um zu veranschaulichen, wie gross das Food-Waste-Problem ist, nennt der Koch und Familienvater eine Zahl: 30 Prozent. Fast ein Drittel aller produzierten Lebensmittel gehen bei uns zwischen Feld und Teller verloren, werden zu Biogas oder Tierfutter. Die Äpfel, Melonen und Gurken in den Containern der Supermärkte sind also nur die Spitze des Eisbergs.

Nicht mit dem Finger auf andere zeigen

Handel und Konsumenten sind in seinen Augen gleichermassen verantwortlich für die enorme Verschwendung. «Um ihr ein Ende zu setzen, müssen wir alle handeln. Und nicht mit dem Finger auf andere zeigen», betont er. «Ich sage Gastronomen bei Schulungen immer wieder, dass wir auch die nächste Generation erziehen.»

Ein weiterer wunder Punkt der Food-Waste-Problematik: Die Landwirtschafts-Betriebe in der Schweiz werden immer grösser. So sind sie nicht mehr in der Lage, ihre Produkte direkt zu vermarkten und sind darum in höchstem Mass abhängig von den Grossverteilern. «Diese sind für das Food-Waste-Problem zum Glück nicht blind – und offen für Vorschläge», betont Mirko Buri. «Die Bouillon, die wir aus nicht rentablem, geschmacklich aber einwandfreiem Gemüse herstellen, gibt es zum Beispiel auch in der Migros auf der anderen Strassenseite zu kaufen. Natürlich müssen die Kunden das Produkt dann auch kaufen, sonst ist es schnell wieder aus den Regalen verschwunden.»

Grosses Potenzial im Kampf gegen Food Waste sieht Buri auf dem Gebiet der Verteilung von Lebensmitteln. «Man müsste mehr Stellen einrichten, die aussortiertes Essen an Einrichtungen wie Tischlein deck dich oder die Schweizer Tafel weiterleiten.» Im Hochsommer komme es zum Beispiel oft vor, dass Erdbeeren, die nach Ansicht des Handels zu weich seien, weggeworfen würden. «Dabei könnte man sie wunderbar für Desserts wie eine Creme verwenden.»

Rettungsaktionen machen für Buri in jedem Fall Sinn. «Der Einwand, die Händler müssten dann 1a-Ware wegwerfen, weil ja nicht mehr, sondern nur anders eingekauft werde, ist nicht zu Ende gedacht», erklärt Buri. «Nur wenn die Händler über längere Zeit zu spüren bekommen, dass die Kunden die Verschwendung nicht länger hinnehmen wollen, werden sie zum Handeln gezwungen.»

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