Back to top

Es dürfen auch einmal Lammhoden sein

Ein kleines Lokal im Zürcher Kreis 4 erweitert auf unverkrampfte Art den kulinarischen Horizont seiner Gäste und setzt ein Zeichen in Sachen Nachhaltigkeit.

Als Marlene Halter vor dreieinhalb Jahren das Restaurant Metzg an der Zürcher Langstrasse eröffnete, waren so genannte Second Cuts wie Flank Steak, Fledermaus oder Outside Skirt kaum jemandem in der Stadt ein Begriff. Heute sind diese Stücke vom Rind für ihre Kunden genauso normal wie ein Entrecôte oder ein Schnitzel – und auch in einigen anderen Betrieben ein fester Bestandteil der Speisekarte. Doch Halter, die ihre Kochlaufbahn als Quereinsteigerin bei Tine Giacobbo in der legendären Alpenrose begann, bringt den Zürcher Fleisch-Fans  auch noch ganz andere Genüsse näher.

«Kürzlich hatten wir ein Gericht auf der Karte, das wir ‹das Innerste vom Lamm› nannten», erzählt sie. «Hinter dem Namen versteckten sich Lunge, Nierli, Leberli, Herz und Hoden – also praktisch alles Innereien.» Hoden? Ist das nicht ein wenig gar gewagt? «Das Feedback der Gäste war absolut positiv. Man darf den Leuten auch einmal etwas zutrauen», antwortet unsere Gastgeberin. Wer immer nur die  Edelstücke und vielleicht mal einen Mocken Siedfleisch zu sehen bekomme, könne seinen kulinarischen Horizont ja schlecht erweitern.

Vom Schweinskopf bis zur Haxe

«Für mich sind prinzipiell alle Teile eines Tiers gleich viel wert. Auch wenn ich natürlich für Kutteln nicht den gleichen Preis verlangen kann wie für ein Hohrückensteak», sagt Marlene Halter. «Ich will meine Gäste aber nicht umerziehen, sondern möchte ihnen zeigen, welche Möglichkeiten es noch gibt, dass ihnen eine Innerei oder ein Schmorstück vielleicht viel besser schmecken als das, was sie seit jeher kennen.»

Die Metzg-Chefin selbst mag am allerliebsten ganze Haxen («unheimlich viel Aroma wegen des vielen Bindegewebes, vorzüglich zum Schmoren»), Leberli («delikat und zart»), Skirt und Hanger («tiefer, fleischiger Geschmack») oder eben besagte Lammhoden («ganz weich, feines Aroma, ähnlich wie Milken»). Und auch an einem Schweinskopf findet sie Gefallen. «Daraus kann man Schwartenmagen machen oder einzelne Teile der Maske – zum Beispiel das Schnörrli – als Ganzes zubereiten.»

Wer sich in der Küche an Neues heranwage, werde reich beschenkt, ist Marlene Halter überzeugt. «Die Bandbreite der Aromen, Konsistenzen und Zubereitungsmethoden ist ebenso gross wie attraktiv. Da wir bei uns in der Metzg immer auch ganze Tiere kaufen, stehen wir oft vor der Frage, was wir mit den weniger populären Stücken anstellen. Das ist die Triebfeder unserer Kreativität», erklärt die Köchin. «Man muss einfach aufhören, allzu klassisch zu denken. Natürlich kann ich im Hochsommer kein Schmorfleisch mit einer dunklen Sauce und Kartoffelstock aufs Menü setzen. Ich kann Geschmortes aber auch zerzupfen, scharf anbraten und zu einem Salat servieren.»

190711_Metzg_3

Ein weiteres grosses Thema in der Metzg – und ein Steckenpferd der Chefin – ist  das Wursten. «Würste gelten oft zu Unrecht als etwas Billiges, dabei sind sie genauso hochwertig wie ein Steak. Vorausgesetzt, man verwendet beste Zutaten, vom Fleisch bis zu den Gewürzen», führt Marlene Halter aus. Ihre scharfen Chorizos aus Rind und Schwein, die Fenchel-Salsiccias aus Gitzi und Schwein sowie die Schweinsbratwürste mit Jalapeños, Limette und Ingwer gehören zu den grossen Rennern im Lokal, das neben dem Restaurationsbetrieb auch eine klassische Metzgertheke besitzt.

Dass ein Umdenken beim Fleisch notwendig ist und wir nicht länger nur Kurzbratstücke essen können, zeigt ein Blick in den Zürcher Schlachthof. Dort wandern jede Woche mehrere Tonnen tadelloser Innereien in den Abfall, weil sie niemand haben will. Betrug der Pro-Kopf-Konsum an Innereien in der Schweiz in den Achtzigern noch rund 1,4 Kilogramm pro Kopf, sind es heute gerade einmal noch 150 Gramm. Wirtschaftlich interessant sind eigentlich nur noch Kalbsleberli.

Um das zu ändern, bräuchte es mehr Menschen wie Marlene Halter. Um des Genusses und um des Klimas willen. Die Metzg-Chefin schaffte es mit ihrer unverkrampften Art sogar, ihre Gäste für Brownies mit Schweineblut zu begeistern. «Blut und Schokolade passen wunderbar zusammen», sagt sie. «In einem Kuchenrezept muss man nur die Eier durch den gleichen Anteil Blut ersetzen.»

190711_Metzg_7

Weitere Artikel zum Thema
Ernährung

So reduzieren Sie Food-Waste

Freie Tage bedeuten vielfach gemütliche Grillabende und Essen mit den Liebsten. Hier gibt es Tipps gegen Food-Waste.

Johannisbeere, die lokale Superfood-Alternativ

Von weither importierte Superfrüchte schaden der Umwelt. Regionale Johannisbeeren haben die gleiche Wirkung und sind umweltschonender.

Wieso «Lauch» keine Beleidigung sein sollte

Von wegen Schwächling: Lauch fördert die Fitness sowie Gesundheit und weist eine äusserst gute Energiebilanz auf.

«Wir konsumieren die falschen Fische»

Wer Fisch essen möchte, ohne dem Klima zu schaden, sollte bei lokalen Berufsfischern einkaufen. Deren Fang ist nachhaltig und erweitert den kulinarischen Horizont.

Exotisches Gemüse aus dem Berner Seeland

Stefan Brunner vom Eichhof in Spins bei Aarberg erfüllt auch die ausgefallensten Wünsche von Schweizer Spitzenköchen. Und leistet so einen wertvollen Beitrag zum Klimaschutz.

«Vom ersten bis zum letzten Tag wird alles von Hand gemacht»

In der Schweiz werden grosse Mengen an Wein produziert. Dabei erzeugen die Kantone Wallis und Waadt fast 60 Prozent der inländischen Gesamtmenge. Davon abgesehen, dass der Konsum lokaler Produkte nachhaltiger ist, gilt es auch, einen ganzen handwerklichen Berufszweig zu erhalten.

Das Wunder von Küttigkofen

Mit Mut und Kreativität hat Claudia Zimmermann aus einer Scheune im solothurnischen 270-Seelen-Dorf einen Bioladen gemacht. Sogar ein Kinofilm würdigt ihr nachhaltiges Konzept.

Er rettet jedes Jahr 40 Tonnen Bio-Lebensmittel vor der Mülltonne

Mirko Buri kämpft in Köniz mit einem innovativen Konzept erfolgreich gegen Food Waste – und erklärt, was wir gegen die Verschwendung tun können.

So eine zufriedene Ziege ist selten

In Châtel-Saint-Denis haben sich die Betreiber eines Bauernhofs für einen respektvollen Umgang mit Tieren und der Umwelt entschieden. Damit verbinden sie den Einsatz für vom Aussterben bedrohte Rassen.

Der Garten Eden im Tessin

Das Castello del Sole in Ascona verbindet wie kein zweites Schweizer Hotel Luxus mit Nachhaltigkeit. Auch und gerade, wenn es ums Essen geht.

Sushi-Genuss mit gutem Gewissen

Wie ein Gastronom in Zürich dem Food Waste den Kampf ansagt – und gleichzeitig seine anspruchsvollen Gäste begeistert.

Schon mal Glace aus Schafmilch probiert?

Schafmilch eignet sich nicht nur für Käse und Joghurt. Eine Waadtländer Bauernfamilie verarbeitet die Milch zu einer ganz speziellen Delikatesse.